Industriekultur im Spessart – die Wächtersbacher Keramik im Museum Lindenhof, Streitberg
Eines meiner Steckenpferde ist die Beschäftigung mit schönem Interieur und Kochkultur. Dazu gehört natürlich auch ein hübsch gedeckter Tisch. So war es für mich eine besondere Freude, als mich Herr Dietrich Keßler, Besitzer des Museums Lindenhof in Streitberg, auf einen Besuch einlud. Museum Lindenhof? Wächtersbacher Keramik? Als Hanauer Mädchen habe ich natürlich schon davon gehört, aber was genau das ist, sollte sich erst jetzt für mich erschließen. Geschirr über Geschirr – viele bunte Schüsseln, Tassen und Teller in Hülle und Fülle – das war meine erste Idee von Wächtersbacher Keramik.
Aber schön der Reihe nach. Für mich als Stadtfrau sind Ausflüge in den tiefen Spessart immer eine Herausforderung. Kurven, unbekannte Blitzen, hupende Autos, die schneller ans Ziel kommen wollen als ich, das verbinde ich mit diesen Touren. Aber natürlich auch die herrlichen Landschaften, die anders tickenden Uhren und die freundlichen Menschen. Heute durfte ich einem von ihnen begegnen.
Als ich an diesem kühlen, regnerischen Dienstagmorgen in die Hofreite der Keßlers im 100-Seelendorf Streitberg einbiege, erwartetet mich Herr Keßler schon mit dampfenden Tee und Gebäck, natürlich ist der Tisch in DER Keramik gedeckt, um die es nun die nächsten Stunden gehen soll.
Eher durch Zufall stolperte Klaus Dietrich Keßler Anfang der 70er Jahre in eine Haushaltsauflösung in Bad Orb. Eine alte Dame war gestorben, ihr Neffe wollte die kleine Wohnung möglichst schnell und möglichst kostengünstig leer geräumt haben. In diesem Haushalt gab es auch Keramiken, und die wurden verschenkt…
Von den Formen und vor allem den Farben der Wächtersbacher Keramik überwältigt, war es von da ab wie ein Rausch, so Herr Keßler. Die Sammelwut der Keßlers – seine Frau ist mit infiziert – war geweckt. Unzählige Exponate, unter anderem auch Kunstobjekte die im Museum of Modern Art in New York stehen, tummeln sich verteilt auf mehreren Gebäuden bei den Keßlers.
Ich fühle mich wie auf einer Zeitreise – vom 19. Jahrhundert bis in die Neuzeit steht überall das passende Geschirr. Waschtische für Kinder, Schüsseln mit Rollmopsgriffe, Spargelgeschirr, Fischgeschirr, Küchenschütten… Zu jedem Stück könnte Herr Keßler eine kleine Anekdote erzählen. Und ich überlege mir, ob ich mir nicht mal ein komplettes Service anschaffe.
Mit seinem enormen Wissen um die Vorgänge in der Fabrik und deren Geschichte – die Fabrik liegt übrigens in Brachttal und nicht in Wächtersbach – fasziniert mich Herr Keßler. Und so vergessen wir die Zeit. Die Umwandlung der Sammlung in eine Stiftung, das wäre der größte Traum der Keßlers. Und natürlich, dass die Geschichte der Wächtersbacher Keramik nicht in Vergessenheit gerät.
Übrigens: der Teller, mit dem alles anfing, ist natürlich im Museum Lindenhof zu sehen. Führungen gibt es auch nach Absprache, vielleicht auch eine Tasse Tee und Kekse… auf jeden Fall viel Wissen um die Region und eine fast vergessene Kultur.
Gut zu wissen
Das Keramik-Museum von Klaus-Dietrich und Marlies Keßler öffnet an jedem ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr.
Gruppenführungen können Interessierte telefonisch buchen.